In Cartagena, Kolumbiens touristischem Aushängeschild, prallen eine nette, urige Altstadt und ein riesiges Slum voller Gewalt und Prostitution aufeinander.
© Colprensa
Der Schweiß fließt in Strömen an diesem Mittag auf der Stadtmauer Cartagenas. Eine Trommelgruppe spielt sich in Ekstase. Immer schneller die Musik, immer ungläubiger die Zuschauer.
Die jahrhundertealte, massive, grau-weiße Stadtmauer - einst sollte sie Cartagena vor Piraten schützen. Wurden doch von hier aus die Reichtümer der neuen Welt nach Spanien gebracht. Heute lockt die Anlage verliebte Pärchen, Schulklassen und Touristengruppen.
Der Besuch auf der Stadtmauer, der Blick über die karibische See und die pastellfarbenen Kolonialpaläste der Altstadt, die wie zufällig anwesende Band, all das gehört zum typischen Programm einer Stadtrundfahrt durch Cartagena.
Die Besucher sind begeistert:
"Es ist hübsch hier, eine wirklich hübsche Stadt."
"Sehr, sehr freundliche Menschen."
"Das Beste, was wir bisher gesehen haben."
500.000 Touristen kommen jedes Jahr nach Cartagena. Rund 80.000 davon sind Ausländer: Kanadier, US-Amerikaner, aber auch viele Deutsche. Die meisten ausländischen Besucher kommen mit Kreuzfahrtschiffen und bleiben nur wenige Stunden. Ein massives Polizeiaufgebot sorgt für ihre Sicherheit. Doch die Ruhe in der Altstadt ist trügerisch. Anfang 2007 erschoss ein 16-jähriges Mitglied einer Jugendgang bei einem Überfall ein italienisches Touristenpaar. Mitten am Tag und direkt an der historischen Stadtmauer. Die Beute: eine Digitalkamera.
Eine Straßenecke in einem der vielen Elendsviertel Cartagenas. Einfache Hütten aus Holzabfällen, Wellblech und Plastikplanen.
Vor einer grauen Häuserwand, zwischen Schutt und Abfall, hockt ein halbes Dutzend Jugendlicher. Ihre Augen sind gerötet von Crack und Marihuana. Fast alle haben Narben von Messerstichen, Machetenhieben, Pistolenschüssen.
"Wir gehören zur Gang von Pueblito"
Pedro ist 20, in die Gang kam er schon mit 13:
"In einer Gang ist vieles einfacher, da macht dich so schnell keiner mehr blöd an. Die Leute wissen, wenn sie sich mit dir anlegen, legen sie sich mit der ganzen Gruppe an."
Doch die Gruppe bietet nicht nur Schutz:
"Wenn wir kein Geld haben, gehen wir in die Geschäfte und nehmen uns das Essen, ohne zu bezahlen. Wir rauben, wir überfallen, alles..."
In den Elendsvierteln Cartagenas gibt es fast 80 Jugendgangs, mit über 3000 Mitgliedern. Viele Gangs sind verfeindet. Immer wieder kommt es zu regelrechten Schlachten. Regelmäßig gibt es Tote.
Ob Armut oder Gewalt - Die Tagesbesucher aus Übersee bekommen in der Regel nur wenig zu sehen von den Schattenseiten Cartagenas.
Die zentrale Plaza Bolivar. Saftig-grüne Mandelbäume, Vogelgezwitscher, Wasserfontänen. Touristen entspannen auf schattigen Bänken, Einheimische spielen Schach.
Rund um die Plaza: edle Restaurants mit europäischen Preisen, Boutiquen, in denen ein Hemd ein Monatsgehalt eines kolumbianischen Arbeiters kostet. Erst gegen Abend zeigen sich auch im Zentrum die düsteren Seiten der Stadt:
"hey you my friend tu quieres fucky fucky"
Dann ziehen Hunderte junger Frauen und Mädchen durch die Bars und über die Plätze und Gassen - auf der Suche nach Nachfragern einer ganz besonderen Dienstleistung:
"hey you my friend tu quieres fucky fucky"
Candy ist 18. Ein schmales, schwarzes Mädchen mit Minirock und luftigem Oberteil. Die halblangen lockigen Haare hat sie zum Zopf gebunden. Eine dunkle Strähne hängt ihr ins Gesicht.
"Die Männer kommen zu mir, vor allem die Ausländer, die gefallen mir am besten, die zahlen am meisten."
Candy lebt in einem Slum außerhalb der Stadtmauern. Schon seit Jahren arbeitet sie als Prostituierte. Aus Not und aus Mangel an Alternativen. Denn nur so kann sie sich und ihre dreijährige Tochter ernähren:
"Ich bitte Gott, dass er mir hilft, mit diesem Leben aufzuhören. Denn dieses Leben ist kein gutes Leben. Ich fühle mich schlecht. Ich schäme mich, meiner Mutter ins Gesicht zu schauen."
Die Nachfrage der Freier nach jungen Mädchen wie Candy ist groß. Doch die Vorlieben der Männer werden immer bizarrer. Fabian Cardenas von der Prostituierten-Hilfsorganisation Renacer:
"Einige Kunden, zum Beispiel Thailänder oder Japaner, suchen schwangere Mädchen, um mit ihnen Sex zu haben. Außerdem wollen die Freier immer öfter Minderjährige und Kinder. Die Mädchen und Jungen steigen heute manchmal schon mit acht oder neun Jahren in die Prostitution ein."
Renacer, eine private Initiative, unterstützt junge Frauen wie Candy, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Bietet psychologische Betreuung und Ausbildung. Die Stadt Cartagena aber kümmert sich kaum um Arme, um Prostituierte oder jugendliche Gangmitglieder. Der katholische Priester, Menschenrechtler und Sozialaktivist Roberto Rodriguez:
"Cartagena hat zwei Gesichter: Das Cartagena der Elite und des Tourismus', und das Cartagena außerhalb der Stadtmauern, eine völlig andere Welt, mit allen Phänomenen der Armut; Hunger, soziale Verwahrlosung; eine Zone, in der der Staat selbst die Grundbedürfnisse der Menschen nicht gewährleistet."