Ein Blick auf die Bergwelt des Naturreservats bei Sonnenaufgang
Die Anfahrt in das Naturreservat „La Cumbre“ ist schon ein kleines Abenteuer. Von Santa Marta ausgehend benötigt man dreieinhalb Stunden für die Strecke, von 10 auf 2600 Meter Höhe. Durch die Zone des tropischen Trockenwaldes bis in den Bereich der Nebelbergwälder geht es zeitweise nur noch im Schrittempo, die Insassen des Allrad-Toyota werden immer wieder durchgeschüttelt. Kleine Bäche kristallklaren Wassers queren die Straße und verschwinden auf der anderen Straßenseite im Nichts. Entlang der Hänge wachsen Kaffeepflanzen, meist vor der Sonne geschützt durch den "Guamo Cafetero", mit seinen Blüten und Früchten auch eine wichtige Nahrungsquelle der Vogelwelt. Entschädigt für die "aufrüttelnde" Fahrt wird der Reisende durch die wunderschönen Ausblicke in die Täler der Sierra Nevada.
Am Ende der Fahrt werden wir von Jürgen Vega, Cristobal Navarro und Juan Fernando Alzate in Empfang genommen. Jürgen Vega, ältester Sohn der Familie, hat sich vom Milchbauern zum engagierten Artenschützer entwickelt und ist die treibende Kraft bei der Renaturierung von Teilen der Hazienda. Cristobal Navarro, Ornithologe der Organisation ALPEC, und Juan Fernando Alzate, Biologe an der Universität Magdalena in Santa Marta, unterstützen ihn dabei. Die beiden Vogelkundler waren in den vergangenen 4 Jahren maßgeblich an der wissenschaftlichen Arbeit zum Schutz der bedrohten Arten im Toribio-Quellbereich und an dem Aufbau des Reservats beteiligt und kennen hier "jeden Grashalm"! Von den 645 Vogelarten im Bereich der Sierra Nevada de Santa Marta sind 18 endemisch, d. h. nur hier zu finden.
Jürgen, Cristobal und Juan bei der Arbeit
Am Eingang des Reservats angekommen wurde erst einmal das Schuhwerk gewechselt - in Gummistiefeln ging es ca. 600 Meter abwärts zur Finca der Familie Vega mit dem Gästehaus. Die Verpflegung der Besucher übernimmt die Seniorchefin der Hazienda persönlich, es gibt Hausmannskost mit Gemüse aus eigenem Anbau, selbst gemachten Käse und Eier von glücklichen Hühnern. Natürlich alles rein biologisch erzeugt. Nicht weil es heute angesagt ist, sondern weil die Familie Vega es schon immer so macht.
Und morgens um 4 Uhr ging es diese 600 Meter wieder bergauf. Bei gefühlten 8 Grad mit 2 Lampen für 5 Personen (der Autor hatte auch vergessen, seine Lampe einzupacken) richtig steil bergauf. Am Ziel wurden wir um 5.50 Uhr mit einer phantastischen Aussicht auf die Bergspitzen der Sierra Nevada in der aufgehenden Sonne belohnt.
Auf einer Lichtung befinden sich 4 frei stehende Bäume, die von den Santa Marta Rotschwanzsittichen (Pyrrhura viricata) offensichtlich als Kommunikationsplatz genutzt werden. Ab 6.30 Uhr trafen verschiedene Gruppen dieser Sittiche, jeweils zwischen 8 und 15 Vögeln stark, auf den Bäumen ein und blieben mindestens 15 Minuten. Zwischenzeitlich befanden sich geschätzte 80 Vögel der bedrohten Art auf den Bäumen. Aus größerer Entfernung entstand fast der Eindruck, dass die Bäume leben und sich bewegen! Und das lautstarke Gekreische der Vögel unterstützt diesen Eindruck.
Dies war auch der richtige Ort für das Aufstellen der Fangnetze. Im Laufe des Vormittags wurden verschiedene Exemplare, meist Rotschwanzsittiche aber auch andere Vogelarten, gefangen. Die Tiere wurden sofort aus den Netzen befreit, gewogen, vermessen, auf Parasitenbefall untersucht und wieder freigelassen. Alle Tiere haben diese Aktion unversehrt überstanden! Auch der Biologe Juan Fernando Alzate und Jürgen Vega sind im schonenden Umgang mit den gefiederten Freunden geschult - keinem Exemplar wurde eine Feder gekrümmt. Die gewonnenen Daten sind wichtig für die Beurteilung der bisher durchgeführten Schutzmaßnahmen und die Planung weiterer Projekte.
Cristobal Navarro wird das Ergebnis dieser Überwachungen, die seit mehreren Jahren, mindestens sechs Mal jährlich, durchgeführt werden, in einem Artikel veröffentlichen.
Nach erneutem Abstieg zur Finca und dem Gästehaus und einem herzhaften Abendessen war der Abend recht kurz. Die Anstrengungen des Tages forderten ihren Tributt und am nächsten Morgen ging es um 4 Uhr, in Dunkelheit, Nässe und Kälte (10 Grad Celsius gilt hier als sehr kalt) wieder bergauf. Mittags wurde die Aktion, nach der Registrierung weiterer, seltener, endemischer Arten, beendet. Nach einem weitern, typischen Mittagessen bei der Familie Vega ging es eineinhalb Stunden bergab zum Treffpunkt mit Allrad-Fahrzeug. Bei der Abfahrt fühlte ich mich an Fernsehübertragungen von Offroadwettbewerben für Allradfahrzeuge erinnert. Der ortskundige und geübte Fahrer meisterte aber jede Klippe und Schräglage und nach drei weiteren Stunden erreichten wir, geschafft aber glücklich, wieder Santa Marta.
Die Bergwelt der Sierra auf 2600 Meter Höhe
Die besten Zeiten zur Vogelbeobachtung sind morgens zwischen 5 Uhr 30 und 9 Uhr sowie am Nachmittag zwischen 4 und 6 Uhr. Im Sonnenschein sind 25 Grad nicht selten, ziehen Wolken durch die Täler fällt die Temperatur schnell um 10 Grad Celsius und es ist angenehm eine Jacke griffbereit zu haben. Nachts pendelt sich die Temperatur bei 5 bis 8 Grad ein. Hier oben geht es rauf und runter - ganz selten mal nur geradeaus. Ohne die richtige Ausrüstung bei Kleidung und Schuhwerk und dem richtige Objektiv auf dem Fotoapparat macht der Besuch nur halb so viel Spaß!
Angeschoben wurden die Aktionen zur Arterhaltung seit dem Jahr 2000 durch den deutschen Biologen Dr. Ralf Strewe. Dabei wurden, mit Hilfe von internationalen Organisationen, auf ehemaligen Viehweiden Futter- und Brutpflanzen von bedrohten Arten angepflanzt. Aufgrund von ornithologischen Untersuchungen ist das Einzugsgebiet der Toribioquelle auf dem Bergrücken von San Lorenzo ein "wichtiger Bereich für die Erhaltung der Vögel in der kolumbianischen Karibikregion (AICA)", einem Programm des Alexander von Humboldt-Instituts und BirdLife International.